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Kultur-Tipp

Affekt und Argument

documenta 15 zwischen Debatte und Kunst

Die ersten Wochen nach der Eröffnung der documenta 15 am 18. Juni 2022 waren turbulent. Nach den Vorwürfen von antisemitischen Bildmotiven in der Ausstellung war zuletzt die Geschäftsführerin Sabine Schormann zurückgetreten und durch das Votum des Aufsichtsrates von Alexander Farenholtz abgelöst worden.

Für die Leserschaft der Frankfurter Rundschau war Mitte Juli zum Beginn der Sommerferien das Thema aber weiter präsent. Die 'Ferien zu Hause' haben den Besuch der Ausstellung in Kassel empfohlen und als Thema des Tages wurden die kultur- und gesellschaftspolitischen Implikationen vertieft. Mit der Kritik an Abbildungen in einer ausgestellten Broschüre wurde die Forderung nach politischem Eingreifen weiter belebt, blieb aber ohne greifbares Ergebnis. Der August brachte eine positive Zwischenbilanz der Besuchszahlen, das Angebot der Kontextualisierung von kritisierten Objekten und eine Titelgeschichte im Feuilleton zu einem Rundgang in Kassel. Im August nahm auch das lange geplante Expertengremium zur Prüfung von antisemitischen Motiven in der Ausstellung seine Arbeit auf und es gab neue Vorwürfe zu einer Abbildung aus der Geschichte der ausstellenden Kollektive. Als das Expertengremium Mitte September zwei erste Erklärungen herausgab, stand eine Filmreihe der Ausstellung im Focus der Kritik. Mit dem folgenden Austausch von Mitteilungen der Beteiligten konnten die Argumente in der Berichterstattung im Detail verfolgt werden. Es war faktisch eine Patt-Situation entstanden, die bis zum Ende der Laufzeit der Ausstellung am 25. September 2022 gehalten hat.

Als die Zeitung die Ausstellung am 24./25. September 2022 zum Thema des Tages auf der Titelseite gemacht hat, waren der Leserschaft aber nicht nur zeitnah die Nachrichten rund um die Documenta präsentiert worden. Zu den Recherchen der Redaktion vor Ort waren auch Interviews geführt und externe Beiträge eingeholt worden. Den Anfang machte eine breit angelegte Zwischenbilanz des ehemaligen Ministerpräsidenten des Landes Hessen Hans Eichel. Es folgte ein Interview mit der Hessischen Ministerin für Wissenschaft und Kunst Angela Dorn zum Reformbedarf der Documenta. In einem Interview mit der Präsidentin des Goethe-Instituts Carola Lentz wurde ebenso wie in einem Beitrag der Autorin Inge Günther für einen differenzierten Blick auf den globalen Süden geworben. Aus der Politikwissenschaft haben Samuel Salzborn und Aram Ziai ihre kontroversen Positionen zu Antisemitismus und Postkolonialismus vorgestellt. Und die mit einem Bildungsprogramm an der Documenta beteiligte Kunsthistorikerin Dorothee Richter konnte in einem Gespräch auf das Interview des Kunsthistorikers und Mitglied der Findungskommission Philippe Pirotte antworten. Dazwischen war ein Interview mit dem indonesischen Künstler Farid Rakun geschaltet, der sich als Teil des leitenden künstlerischen Kollektivs Ruangrupa geäußert hat.

Ende September kamen noch der Pädagoge Meron Mendel mit seinem Fazit zur Documenta, der Kunst-Netzwerker Beat Raeber zu dem Projekt der 'Lumbung Gallery' und der Kunsthistoriker Christoph Grunenberg zur Wirkung der documenta 15 auf die Kunstwelt zu Wort. Zusammen mit den abgedruckten Zuschriften aus dem FR-Forum hat die Zeitung die documenta 15 mit ihren unterschiedlichen Fragestellungen in vielen Formaten begleitet. Weil Fragen zur Struktur der Documenta noch nicht beantwortet sind, der kollektive künstlerische Ansatz weiterwirkt und die Antisemitismus-Debatte anhand der Erfahrungen mit der Ausstellung und darüber hinaus ihre Fortsetzung finden wird, lohnt noch einmal ein genauer Blick auf die verschiedenen Aspekte des Diskurses. (jk)


Weiterlesen: Angst und Zuversicht
Einblicke in den Documenta-Komplex 2022 (PDF)